Die Ausgangslage


Jeder Selbständig erwerbende kennt das: In gewissen Zeiten weiss man kaum, wie das anstehende Pensum zu bewältigen ist. Man jammert und bedauert sich, schiebt Nachtschichten und holt das Letze aus sich und seinem Team. In diesem Herbst ist alles anders. Nicht, dass wir uns nicht mehr bedauern und jammern würden, in keiner Weise - nur der Grund ist genau umgekehrt: wir haben nichts zu tun. Und kein Geld in der Kasse, um diesen Zustand geniessen und richtig unbeschwert jammern zu können.

Ich nötigt und hetze meine Maus zu zahllosen unmotivierten Kilometern über die Mausmatte, checke allenthalben die Mailbox, starre auf das Telefon. Niemand auf dieser Welt scheint Bedarf an unseren Dienstleistungen zu haben. Keiner benötigt eine Ausstellung, ein Konzept, Szenografie im Raum, ein neues Erscheinungsbild, oder auch nur ein wenig Grafik und Multimedia. Die Listen mit unseren aktuellen und ehemaligen Kunden sind abgearbeitet, alle möglichen Fäden unseres Netzes aufgegriffen und geknüpft - nichts.  Das Telefon bleibt stumm, in die Mailbox pingt nur Spam. Die Stimmung kippt vom Jammern und Bedauern langsam Richtung Panik, schlägt bedenklich in ein gelangweiltes, stumpfes Brüten um. Ich checke die Mailbox, starre auf das Telefon, spiele mit Gummi und Bleistift. Einfach nichts. Der Blick wandert vom Monitor über den Arbeitstisch, erklimmt den Ordnerberg, umrundet die Schachtel mit den Stiften, Leim, Schere, allerlei Papeteriekram, kehrt zum Monitor zurück. Um bald gelangweilt von neuem zu derselben Tour aufzubrechen…

Uns ist klar: entweder fällt uns zeitnah eine erlösende und lukrative Idee ein oder wir müssen ein total krummes Ding drehen, damit wir wieder zu Arbeit und gefüllten Kassen kommen.

 



 

Die Idee


Wie zeigen wir, was wir können? Wie machen wir auf uns aufmerksam, setzen wir uns in Szene? 

Eigentlich haben wir immer verstanden, aus ziemlich wenig sehr viel zu machen. Die alchimistische Veredelung hat bei uns nicht unbedingt zu Gold geführt, aber immerhin ist es uns immer wieder gelungen, auch in misslichen Situationen aus dreimal Nichts mit Cleverness und Hartnäckigkeit einen Mehrwert zu generieren. Wenn man es schafft, einer Sache etwas Überraschendes und Ungewöhnliches abzugewinnen, sie so lange hin und her zu drehen, bis sie sich der strammen und sturen Gradlinigkeit von Gewissheiten und Gemeinplätzen entzieht, dann ist der Samen für etwas Faszinierendes gesetzt. Acht mal vom geraden Weg abbiegen und aus elf Zentimeter Draht entsteht eine Büroklammer: das ist das Prinzip, wie eine zündende Idee einen billigen Rohstoff veredeln kann. 

Ich denke gerade, dass man oft viel zu weit sucht, seine Chance weit weg von sich in unerreichbaren Gefilden wähnt, indessen das grosse Los unbemerkt direkt vor einem läge, als sich plötzlich eine Büroklammer aus der durchsichtigen Schachtel hangelt, über den Ordnerberg klettert, quer über den Bürotisch kriecht und auf die Maus steigt: sie balanciert wie ein Artist auf dem Rücken eines Elefanten, reitet durch die Manege und buhlt mit äquilibristischer Eleganz um die Aufmerksamkeit des Publikums...

 






Der Start

Wir legen los, definieren unser Zielpublikum, evaluieren Medien und Kanäle, diskutieren Strategien, einzelne Massnahmen. Recherchieren, bearbeiten das Thema, hecken Möglichkeiten für die Umsetzung aus.

Wir entscheiden uns, zwei Teile realisieren: 

Wir wollen eine Aktion lancieren, die das Publikum interaktiv einbindet und zum Mitmachen animiert. Uns reizt die Herausforderung, im Bereich "social media" etwas anzustossen, das zu einem gemeinsamen "Werk", zu einer Art sozialer Plastik, einem kreativen Dialog zwischen den Beteiligten führen könnte. Der Wettbewerb bietet sich als ideale Form an: einerseits lockt ein Preis, andererseits das Kräftemessen unter den Teilnehmern und die Plattform für die Selbstdarstellung.

Als zweites Element beschliessen wir, ein digitales Museums einzurichten. Wir werden uns damit als "Szenografen im Raum" austoben und zeigen können, wie wir Themen anpacken und umsetzen. Das Museum ist auch ein sicherer Wert, falls der Wettbewerb floppen und sich niemand beteiligen würde.

 






Lancierung des Contests

Wir starten den Wettbewerb."Wer dreht das krummste Ding? Biege aus einer Büroklammer ein cooles Teil und erledige damit die Langeweile im Alltag!". 

Wir stellen eine Micro-Site ins Netz, implementieren die Mechanik für das Hochladen und Bewerten der Beiträge. Auf unseren Bürotischen krümmen sich Klammern, für den Start entstehen erste Beiträge für die Galerie. Serienmail, Postings in Facebook.

 

Popupkarte Büroklammer-Wettbewerb hof3, Szenografie im Raum, Museumsgestaltung


 

Die Popup-Karte

Die Büroklammer ist ein sehr konkretes Ding: damit ist es naheliegend, den Wettbewerb auch in der physischen Welt zu lancieren. Wir entwickeln eine Popup-Karte, die zum Mitmachen bei der "Aktion gegen Langeweile" aufruft. Die A6-Karte simuliert eine Ausstellungssituation, sie ist Modell, ein Museum en miniature: Beim Öffnen entsteht ein Sockel, der die Büroklammer trägt und diese zum Kunstobjekt adelt. Auf dem Sockel steht der Schöpfer des Werks: Hans Sachs, der deutsche Industrielle, der den Draht 1919 zum ersten Mal in die uns heute geläufigen Form bog.

Als nächstes ist Fleiss und Fliessband gefragt: Anstecken der Büroklammer, Abpacken in transparente Plastiktüten. Wir stellen Adressen zusammen, potentielle Interessenten für unsere Dienstleistungen, aber in dieser Runde auch alle möglichen Individuen, denen wir krumme Dinge zutrauten und die somit unserem Täterprofil entsprechen. Wir versenden 3000 Karten.

 

Büroklammermusem Eröffnung hof3





Das Museum

Ideen neigen leider immer dazu, in Arbeit auszuarten, bevor sich ein Return of invest auch nur Ansatzweise abzeichnen würde. Das realisieren wir spätestens in dem Moment, da wir uns an das Einrichten des Paper-Clip-Museums machen. Wir müssen zwar nicht tonnenweise Material rumschleppen: Sockel und Kisten, Skulpturen, Grossplastiken und ähnliche Rückenkiller-Requisiten aus dem Galerie- und Museumsbetrieb bleiben uns erspart; in einem digitalen Ausstellungsraum schleppt man anstelle von Kilogrammen bloss Kilobits.
Ermüdend ist das trotzdem.

Nach der Planung heisst es, die Räume in 3D zu modellieren. Die Themen müssen erst recherchiert, dann auf die Räume runter gebrochen und in ein Exponat gegossen werden. Fotografieren, Filmen, Positionieren der Ausstellungsstücke, Licht richten. Navigation erstellen, die Räume zusammenhängen und die Textergänzungen einfügen.

Immerhin, intern hat die Aktion die Langeweile bereits gründlich vertrieben: damit wir vor Weihnachten das Museum gemäss Ankündigung eröffnen können, müssen  wir bereits zwei Wochenende opfern.Wir schaffen aber das erste Follow-up gemäss Plan: wir verschicken eine Postkarte und einen Brief, die auf die Eröffnung des Museums hinweisen.

 






Der Wettbewerb

Nach anfänglich eher mässiger Resonanz nehmen die Einsendungen Anfang Jahr merklich zu. Einzelne steuern einen lauen Beitrag bei und setzten den ganzen Effort in das Ranking, andere finden Vergnügen im exzessiven Krümmen ganzer Heerscharen unschuldiger Klammern, ohne sich um das Schicksal ihrer Zöglinge in der Schlacht um die goldene Klammer zu kümmern. Teilnehmerinnen reagieren auf die Beiträge von anderen, kommentierten mit Schalk oder Häme die kreativen Ergüsse der werten Mitbieger und Mitbiegerinnen.

Wir verfolgen auf Google Analytics die Bewegungen auf der Seite. Einzelne Aktionen lösten einen Run aus, Publikationen auf grossen Facebook-profilen oder das Gezwitscher eifrig verfolgter Twitterer zeichnen für einige Stunden grosse Spitzen in die Kurve des Traffics, ebben aber bald wieder ab. Eine wirkliche Dynamik, die die Aktion zum Selbstläufer machen würde, entsteht nicht. Vermutlich ist die Aufgabe doch zu anspruchsvoll und fordert zu sehr, oder sind die meisten viel zu rechtschaffen, um lustvoll krumme Dinge zu biegen.

 

Aktion gegen Langeweile hof3, der Postkarten-Versand





Der Gewinner

KURT! gewinnt! Im Feld der beinahe 300 Beiträge hat sich KURT! durchgesetzt. KURT! ist ein würdiger Sieger: eine schlichte Idee, ganz banal aus Utensilien zusammengesteckt, die sich auf jedem Bürotisch finden, persifliert er die Idee des "Superhelden" auf schalkhafte Weise. KURT! der superstarke Kraftprotz,  der idealtypischer Sieger -  sozusagen Teenie-Traum jeder gewöhnlichen, banalen Büroklammer.
Wir lassen KURT! ins Paper-clip-Museum einziehen und aktualisieren die Mikro-Seite. Lassen den Kerl im grossen Siegerinterview zu Wort kommen.

Letztes Follow-up und letzer Akt der Aktion gegen Langeweile: wir berichten über KURT!s Sieg in unserem Serienmail. Daneben drucken wir eine kleine Kartenserie und verschicken sie als Geschenkset per Post an unser Zielpublikum. In der Hoffnung, dass sie sich im Bedürfnisfalle an die Klammerbieger erinnern werden. 

Wir sind gespannt, ob und wie nachhaltig die Aktion unsere Langeweile vertreiben wird;-)

 

Aktion gegen Langeweile, Kampagne für Szenografie im Raum,