KURT!

Das grosse Siegerinterview

"Der Mann aus Stahl" ist keineswegs der testost-erongetränkte  Terminator, der mit brachialen Mitteln der Langeweile an die Gurgel geht. Tom Turtschi gelang es, den quirligen Sieger anlässlich der Preisübergabe für einige Fragen vor das Mikrofon zu bekommen.  Wir lernen im Gespräch einen reichlich selbstbewussten, dabei aber differenzierten und philosophischen Streiter gegen die Langeweile  kennen. KURT versteht es, seine Kontrahenten mit Karate und Katana im Schach zu halten - genauso weiss er sie aber mit Kalauer und  kontradiktorischer Raffinesse zu überlisten:-)

 

 

Kurt - wir gratulieren Ihnen ganz herzlich zu ihrem Sieg!

Danke. Ich bin auch der Beste.

Lange sah das aber nicht so aus. Sie haben sich aus dem Mittelfeld beharrlich an die Spitze vorgearbeitet.

Taktik. Wird man unterschätzt, ist das Überraschungsmoment auf Deiner Seite.

Gegen Schluss wurden Sie von einer grossen Fangemeinde zum Sieg getragen. Vor allem bei den jungen und weiblichen Fans haben Sie richtiggehende Begeisterungsstürme entfacht. Worin liegt das Geheimnis Ihres Erfolges?

Nie ohne Gummi! Wenn man auf den Bühnen dieser Welt erfolgreich sein will, sind die richtigen Schutzvorkehrungen von zentraler Bedeutung. Man trifft auf dem Weg nach oben viele Möchtegern-Stars. Gänzlich talentfrei kämpfen sie sich die Rangordnung rauf: mit Intrigen, Ellbogen, Vitamin B und halblegalen Aktionen strampeln sie sich hoch. Bis sie dann selber auf der Strecke bleiben, irgendwann. Also: der Weg nach oben ist gepflastert mit Leichen. Da sind Gummistiefel das adäquate Schuhwerk. Ballerinas und Peeptoes kannste vergessen, wenn Du weiterkommen und nicht im Morast und Sumpf der Mittelmässigkeit stecken bleiben willst, brauchst Du Gummistiefel.

Dann tragen Sie also immer Gummistiefel?

Bei Einsätzen immer. Oder Gummihandschuhe. Gegen die zersetzenden Bakterien, Viren, Toxine und Pilze der Langeweile. Latex:  das ist sozusagen mein Markenzeichen.

Das sehen wir. Der einzige Unterschied zur gemeinen Büroklammer besteht in den zwei Gummis.

Und der Idee. Vergessen sie nicht die Idee! Es ist die Idee, die mich zum Sieger macht. Die Disposition der Büroklammer besteht im Klammern und Festhalten. Die Idee aber bricht diese Disposition auf, indem sie meine Anlage um die Möglichkeit des Aufstehens, Schreitens und Fortgehens erweitert.

Sie sagen, dass Sie sich bei Ihren Einsätzen immer schützen. Welcher Art dürfen wir uns die Einsätze vorstellen?

Auf tausenden von Schreibtischen friste ich täglich ein unscheinbares Dasein als Büroklammer. Dann werde ich Kurt. Genau so wie Clark Kent zu Superman wird, wenn die Welt gerettet werden muss, werde ich Kurt, wenn jemand in Gefahr läuft, durch den Trott im Alltag, in Büro oder Beziehung erstickt zu werden. Bei meinen Einsätzen besiege ich die Langeweile und setze nicht ein Quantum Trost, aber eine Portion Phantasie frei.

Kurt, sie sind ja ein Humanist! Wie erfahren sie von solchen Notsituationen?

Was Mutlosigkeit und Langeweile betrifft verfüge ich über einen Hitzeblick, Röntgenblick, Scanblick, Infrarotblick, Mikroskopblick und Teleskopblick. Es wird kaum jemandem gelingen, seine Langeweile vor mir zu verbergen. Zudem verfüge ich auch über ein Supergehör. Mir entgeht kein Seufzer und kein Gähnen.

Haben sie nicht übermässig zu tun? Rein statistisch gesehen besteht ein Grossteil der Welt aus Langeweile. Bereits die Naturgesetze gelten nicht gerade als Exploit der Phantasie: sie beschreiben vielmehr die Widerkehr des Immergleichen, stellen Sturheit und Trott als Regel dar...

Falsch! Sie meinen hier die Welt der Physik, die keine Abweichung und Ausnahme von der Regel toleriert. Sie sind aber ein Mensch: auf dieser Ebene hat sich die Natur einen grossartigen Freiheitsgrad erschaffen! Als Kurt kämpfe ich dafür, diese Freiheit zu nutzen. Genau diese Freiheit des Geistes macht Sie doch als Mensch aus! Mir als Büroklammer ist es ein grosses Anliegen, dass auch Sie ihr Potential ausschöpfen.

Sie haben also viel zu tun...

Sicher, an Arbeit mangelt es nicht. Aber ich bin Kurt, der Mann aus Stahl. Ich bin schnell wie eine Pistolenkugel, ich kann Fliegen und ich bin nicht alleine. In dichten Zeiten greife ich gerne auf meine Freunde Zorro, Batman, Flash, Hulk und die fantastischen Vier zurück. Ist es immer noch eng, hat man als Büroklammer einen unschätzbaren Vorteil: unser weltweites Streumuster auf Bürotischen begünstigt die Schwarmintelligenz. Gemeinsam sind wir noch stärker als die Superhelden. Wir sind bestrebt, alle Ansätze von Langeweile sofort und mit aller Entschiedenhait zu tilgen.

Wenn ich ehrlich bin, scheint mir Ihr Erlösungs-Getue etwas antiquiert. Kein Zeitalter vor uns kannte so viele Möglichkeiten, um die Langeweile zu vertreiben. Eben wurden Zahlen bekannt, die belegen, dass die japanische Jugend noch nie so glücklich war wie heute: sie hat zwar keine Zukunft, aber mit Play Station und Facebook, mit TV und Smarthpohne unterhält sie sich so köstlich, wie keine Generation zuvor.

Welches Glück meinen Sie denn? Ist diese dröge, konsumistische Vergnügungssucht nicht der Inbegriff der gähnenden Langeweile? Sprechen Sie vom stumpfen Glück der Lethargie und der Gleichgültigkeit? Unterhaltung lindert das Leiden an der Langeweile bestenfalls punktuell, darauf zieht es umso unerbittlicher runter, bis man in den Untiefen des eigenen Hirns ertrinkt.

Warum haben sie sich denn bloss an diesem Contest beteiligt? Ist es mit einer solchen Haltung nicht entwürdigend für Sie, von der "Gefällt-mir-Generation" zum Star gekürt zu werden?

Nein. Ich trage Gummistiefel.

Ich verstehe nicht ganz…

Jeder Mensch hat seine Handlungs- und Denkdisposition, die ihn überall und in jedem Moment bestimmt. Der Mensch lebt sozusagen eingesperrt in den Käfig seiner Disposition. Er verzehrt sich in der Verrichtung täglich wiederkehrender Abläufe und Handlungen, er steht auf, arbeitet, isst, konsumiert, geht schlafen und steht wieder auf. Alles geht flott vonstatten, emotionslos und leer: als Kopie der Kopie in völligem Einklang mit der totalen Langeweile. Ich möchte präzisieren: mit der totalitären Langeweile.

Nun, hier greife ich ein. Meine Mission besteht im zertrümmern des Käfigs, des goldenen Käfigs der Disposition, in den jeder gesperrt ist. Ich störe. Ich schleuse den Fehler in die Kopie. Verursache die Mutation, die letztlich den Fortbestand ermöglicht. Ich fahre dazwischen und zertrümmere mit meinen Gummihämmern den gewohnten Gang der Dinge. Auch bei diesem Contest. Ich mische mich dort ein, wo man mich nicht erwartet. Ich brauche das Überraschungsmoment. Aber das habe ich schon erzählt…

Welchen Stellenwert billigen Sie denn Tradition und Ritual zu? Nicht jede Wiederholung mündet in Langeweile und Dogmatismus, oft bedeutet Gewohnheit Halt und Stütze -

Stopp! Beantworten Sie das doch selber, ich muss los, mein Röntgenauge ortet einen neuen Job, die Pflicht ruft: ein Leser dieser Zeilen beginnt sich gerade masslos zu langweilen...